12.07.2006

Rezension zu "Lasra.." - S. Tschirner



Beim Lesen dieses Buches stellt sich die Frage: Ist dies nur eine fiktive Geschichte, bei der die Autorin das Flair einer längst vergangenen Epoche schafft oder handelt es sich am Ende um eine wahre Begebenheit, weiter getragen von Generation zu Generation, in der Mythen und Legenden aus einer weit zurückliegenden Vergangenheit erzählt werden?

Lasra - die große Fragenstellerin

Die Geschichte beginnt mit einem Mord. Ein Verbrechen, das es nicht geben darf, denn "die Menschen der Inseln töten keine Menschen" . Und doch beginnt die angehende Heilerin Lasra
zu argwöhnen, dass Sihrus, der schöne, stolze Sohn ihrer Lehrmeisterin, nicht einfach nur gestorben sein kann, sondern ermordet worden sein muss. Sie kann auf dem folgenden
Sprechtag ihre Sippe davon überzeugen und erhält den Auftrag, den Mörder zu finden, damit er seiner gerechten Strafe zugeführt werden kann. Und während Lasra langsam an ihrer Aufgabe wächst, erfährt der Leser immer mehr über das Leben, den Tagesablauf, die Sitten und Gebräuche, den Glauben und das Rechtsempfinden der Inselbewohner. Am wichtigsten erscheint ihr zunächst festzulegen, wann der Mord geschah. Dadurch hat Lasra eine solide Grundlage, in Erfahrung zu bringen, was die einzelnen Sippenmitglieder zu dieser Zeit getan haben. Sie beginnt damit, die Männer und Frauen ihrer eigenen Sippe zu befragen, bevor sie mit ihrem Kerrag aufbricht und die Gemeinschaften auf den anderen Inseln befragt. Mit ihren vielen Fragen stößt sie immer mehr auf Ablehnung. Aber Lasra erfährt viel, und so manches gefällt ihr dabei nicht. Da geht es um den alten Weg, den die Erdfrauen zu bewahren suchen, den neuen Weg und diese funkelnde Bronzeaxt, die Sihrus von seinen Reisen mitgebracht hat. Ihr Bruder Füchschen ist ihr eine Hilfe, der Hirschleutemann Errill, Sihrus' bester Freund, steht ihr zur Seite, aber sie tappt dennoch bis ganz zuletzt im Dunkeln und gerät in große Gefahr, als sie dem Drahtzieher direkt in die Arme läuft...

Rechtsprechung im Steinkreis

Das Eintauchen in eine fern zurückliegende Zeit fällt nicht schwer, wenn man sich auch erst an die fremden Namen und Bezeichnungen etwas gewöhnen muss. Doch die Autorin hat Vorsorge getroffen und vor jedem Teil des Buches die Personen der Handlung aufgelistet und am Ende ein Glossar angefügt. Selbst Pflanzen haben ganz andere Namen: Blutkraut zum Beispiel ist Johanniskraut. Anfangs habe ich dort noch manches Mal geblättert, aber mit der Zeit war dies nicht mehr nötig. Schnell wird man in einem Zeitstrudel Jahrtausende zurück versetzt in die Gemeinschaft der Adler-Leute auf den heutigen Orkney-Inseln. Durch die gewählte Ich-Form fällt es leicht, sich mit Lasra zu identifizieren, einer nicht mehr ganz jungen Frau, angehenden Heilerin und Erdfrau. Der Leser wird zum Detektiv der Bronzezeit und versucht mit den wenigen zur Verfügung stehenden Mitteln Fakten, Indizien und Beweise zu sammeln, während er weiterhin am gesellschaftlichen Leben der Adler- und später Stierleute teilnimmt. Der Höhepunkt liegt dann im rechtzeitigen Auffinden eines eindeutigen Beweises um im magischen Steinkreis, nach einer rituellen Opferung Anklage zu erheben, damit Recht gesprochen werden kann.

Ein ganz unglaubliches Flair scheint den Leser von der ersten bis zur letzten Seite zu begleiten. Es ist mehr als Spannung, es ist vielmehr das Eintauchen in eine Zeit, die länger zurück liegt als selbst Christi Geburt. Eine Zeit, in der Messer noch aus einer Feuersteinknolle geschlagen und Steinäxte zum Jagen, Töten und Zerkleinern benutzt werden. Eine Zeit, in der es noch nicht so viele Farben zum Einfärben der Kleidung gab und auch das Leben sehr viel einfacher und mühevoller verlief als wir uns das heute vorstellen können.

Die Geschichte ist flüssig geschrieben, keinen Augenblick kommt Langeweile auf. Susanne Tschirner versteht es, mit ihrer Sprache zu fesseln, ja in den Bann zu ziehen. Mühelos kann der Leser die Szenerie vor seinem geistigen Auge ablaufen lassen. Spannung von Anfang bis Ende. Und gerade, wer sich gern in Museen aufhält und altertümliche Artefakte bewundert, wird voll auf seine Kosten kommen, denn jedes einzelne Gefäß hat man sofort klar vor Augen. Die Charaktere sind sehr gut herausgearbeitet. Besonders gut gelungen ist die unterschiedliche Ausdrucksweise der Beteiligten, beispielsweise von Twirk, dem kleinen zappeligen Baumeister, der keinen Satz zu Ende bringen kann und herumstammelt. Oder eben der Protagonistin, deren Gedankengänge man förmlich zu hören glaubt.

Ein Buch, das man immer wieder lesen kann und das mit jedem erneuten Lesen gewinnt...

© ER, 12.07.06

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