28.07.2006

Rezi zur "...Kastratin" von Iny Lorentz




Der Name der Autorin/des Autorenehepaars verspricht bereits einiges. Doch was stellt man sich unter einer „Kastratin“ vor? Wer in der Welt der Musik ein wenig zuhause ist, wird an die berühmten Kastraten-Sänger der Sixtinischen Kapelle erinnert. Ein Buch also über Musik? Eine weibliche Sängerin? Doch was hat das mit Kastration zu tun? Die Beantwortung dieser Frage lässt nicht lange auf sich warten und wird gleich auf den ersten Seiten geklärt.

Ketzer – Kastratensänger - Inquisition

Giulia ist gerade erst 11 Jahre alt, als sie heimlich die Chorknaben bei ihren Proben belauscht und wenn sie sich unbeobachtet fühlt, die gehörten Melodien selbst anstimmt. Sie hat nicht nur eine wunderschöne reine Stimme, sie kann sich auch die Gesänge scheinbar mühelos merken. Nichts macht ihr so viel Freude, wie das Singen. Doch für ein Mädchen schickt es sich nicht, in der Öffentlichkeit zu singen, und die Strenge der Inquisition verhängt nicht geringe Strafen, so dass ihre Mutter sie mit harter Arbeit zur Räson bringen will. Als der Solosänger des Chores nicht nur in den Stimmbruch zu kommen scheint, sondern auch noch in flagranti mit einem anderen Chorknaben in einer delikaten Situation erwischt wird, erhält sie die Chance ihres Lebens.

Sie wird von ihrem Vater und Pater Lorenzo in einen Jungen „verwandelt“ und singt auf dem Fest des heiligen Ippolito den Solopart der Palestrina-Messe. Und sie macht ihre Sache so gut, dass der Vater gebeten wird, sie kastrieren zu lassen, um ihre Stimme der Kirche zu erhalten. Die Angst, die Täuschung könne aufgedeckt und vor die Inquisition gebracht werden, lässt Vater und „Sohn“ sofort aufbrechen und sich verstecken. Begleitet werden sie von ihren treuen Dienern Beppo und Assumpta.

Und so ziehen sie durch Italien. Nie bleiben sie lange an einem Ort. Der Vater, obwohl früher Kapellmeister gewesen, verlässt sich mehr und mehr auf Giulia, die als Giulio für den Lebensunterhalt dieser kleinen Gruppe singt. Sie bekommt immer mehr Gelegenheiten aufzutreten und wird zunehmend berühmter. Und so kommt es, dass sie selbst Papst Pius IV. zu hören bekommt und ihr den Auftrag erteilt, an den Hof von Kaiser Maximilian II zu gehen um für ihn zu singen. Dieses Arrangement ist nicht uneigennützig. Wie sich heraus stellt greift die ketzerische Lehre Luthers in Wien um sich und Giulia erhält indirekt den Auftrag, dafür zu sorgen, dass der Hochadel zurück in den Schoß der einzig wahren Kirche findet. Um dies zu erreichen, werden Intrigen gesponnen, ja man scheut sogar vor Mord und Todschlag nicht zurück und Giulia ist mehr als einmal in Gefahr.

Anhand des Einzelschicksals der Protagonistin Giulia zeigt die Autorin gesellschaftliche und historische Merkmale dieser Zeit auf, so besonders die Auswirkungen der Reformation Luthers auf die Katholische Kirche. Da macht Geschichte Spaß, so wird sie greifbar. Während der Leser mit Leichtigkeit imstande ist, sich mit Giulia zu identifizieren und in ständiger Angst vor der Inquisition weiter liest, wird aus dem Mädchen eine Frau. Es wird immer schwieriger, die weiblichen Formen zu verstecken, und als auch noch der langjährige Reisegefährte Vincenzo Giulia zu verstehen gibt, dass er „ihn“ begehrt, wird sie in einen Strudel aus Gefühlen und Angst gerissen. Und nur ihre mühsam anerzogene Selbstbeherrschung hilft ihr, mit diesen neuerlichen Problemen fertig zu werden.

Ketzer werden verbrannt und Komplotte werden geschmiedet. Giulia stellt kirchliche Lehren in Frage und droht immer wieder als Frau entlarvt und auf dem Scheiterhaufen als Hexe verbrannt zu werden…

Die Geschichte Giulias beginnt langsam und idyllisch, wird dann aber spannender und erreicht ihren Höhepunkt gegen Ende. Iny Lorentz schreibt einen sehr kurzweiligen, anschaulichen und eher bodenständigen Stil und man hat den Eindruck, ein wenig mehr „hinter die Kulissen“ zu blicken. Allerdings auch nicht mehr. Wer sich erhofft hat, etwas mehr über die Musik des 16. Jahrhunderts zu erfahren, wird enttäuscht werden, denn Giulia versinkt bei jedem Auftritt in ihrer Musik und kommt erst wieder mit dem letzten Ton zu sich. Auch die Geschehnisse dieser Zeit werden eher nur angerissen. Die Charaktere allerdings sind durch die Bank sehr gut gezeichnet und geben einen guten Einblick in die Wesensart der Italiener. Sehr gut sind Minenspiel, Gedankengänge und Gewissenskonflikte zu erkennen. Den Redeschwall von Assumpta kann man direkt hören und sieht das Machogehabe so mancher Männer vor sich… Selbst das Thema der berühmten Kastraten-Sänger wird zu einem Punkt, mit dem man sich auseinander setzt. Leider wird dies eher in der Kostümierung der Protagonistin abgehandelt als wirklich Einblicke in die Vorgehensweise einer Kastration und die Besonderheiten einer Kastratenstimme zu geben.

Es fällt schwer, das Buch aus der Hand zu legen, wenn man sich erst einmal fest gelesen hat.
© ER

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